Zum Tode eines unverwüstlichen Freigeistes, – ein Toast und Drink auf Lemmy Kilmister.
Text: Ilijic / Ausschnitt-Titelbild © By Andreas Lawen, Fotandi (Own work), [CC BY-SA 3.0] via Wikimedia Commons
Born to lose, lived to win
Gleich einer Druckwelle traf mich Motörheads Musik, als wir uns zur großen Pause unweit des Schulhofs in eine Bahnhofskneipe absetzten, um ungestört Zigaretten zu paffen. Der Fahndungsdruck unseres Direktors war einfach zu groß geworden. Damals hatten Automaten noch keine Kindersicherungen. Vier D-Mark rein und das Päckchen war dein. Die Kneipe sah aus wie ein Zugabteil und an einem Arbeitstag schneiten Gestalten herein, die vormittags den letzten Absacker nahmen, – Alkoholiker, halbseidenes Volk und Biker. Den passenden Soundtrack dazu grölte Lenny Kilmister, fanden wir pubertierende Rotznasen. Das genaue Gegenteil von all dem dauergewellten „I should be so lucky“ Kram, den die damaligen Charts hoch und runter dudelten. Und das beste, – Lemmy Kilmister sah genauso gefährlich aus, wie Motörhead klang. Roh, brachial und vor allem laut. Verkörperte er mit seiner Reibeisenstimme, dem Fernfahrerbart und den Kavalleriestiefeln geradezu den Urtyp eines Outlaws.
Best story I’ve ever heard, by Ian „Lemmy“ Kilmister
Jahre später, Heavy Metal hatte längst seinen Zenit überschritten, fanden zeitgleich in Düsseldorf der Motörhead Gig und eine Heavy Metal-Mottoparty auf ein und demselben Gelände statt. In Begleitung von Doro Pesch stand der kettenrauchende Grandfather of Rock in seinem schwarzen Ledermantel gehüllt da und beobachtete spöttisch die Travestieshow, welche verlegen, mit Nietengürteln, Leggins, Klebetattoos und Perücken verkleidet, an ihm vorbeischlich. Motörhead war immer auf Tour, – in guten, wie auch zu Technozeiten.
We are Motörhead & we play Rock ’n‘ Roll
Jetzt hat es sich ausgerockt nach mehr als einem halben Jahrhundert Rock ’n‘ Roll, Jack ’n‘ Coke und 23 Studioalben. Der Speedfreak starb, trotz des hartnäckigen Gerüchts, dass nur Ratten und Lemmy einen Atomkrieg überleben. Zuletzt verschwand das virile Mannsbild vom Krebs ausgezehrt förmlich in seinen Klamotten. Beim Gedenken an Lemmy Kilmister überwiegt nicht Trauer, sondern allenfalls Wehmut und Bewunderung. Nicht so sehr über seinen exzessiven Lebensstil. (Der arme Kerl wurde zuletzt in Interviews wie eine sibirische Kefir-Oma mit immer denselben Fragen gelöchert.) Sondern vielmehr, wie Stil prägend Motörhead für viele Musiker war.
Obwohl die Band maßgeblichen Einfluss auf Punk und Heavy-Metal hatte, zudem manches fast beiläufig vorwegnahm, lässt sich Motörhead keinem Genre zuordnen. Dem Zuhörer eröffnet sich eine Bandbreite, die „bad to the bone“ von Blues, über Rock bis hin zu Punk reicht. Frei von Manierismus hören sich die Stücke nach wie vor unverbraucht an. Als 45er-Jahrgang entsprang der Beatles Fan und spätere Jimi Hendrix Roadie dem Urknall des Rock ’n‘ Roll. In Lemmys Hintergrundstrahlung finden sich Partikel von Little Richard, Eddie Cochran, Chuck Berry, Jerry Lee Lewis sowie andere Elemente der 50er Jahre. Gespielter Rock ’n‘ Roll, nur viel härter und schneller, mit Dezibel von startenden Jumbojets.
Shakin all over
„Shakin all over“, bestand für den Sohn eines Royal Air Force Feldkaplans keine Trennung zwischen Genres, sondern allenfalls zwischen Rebellion und Establishment. Davon zeugen nicht zuletzt die Cover-Versionen von Johnny Cash, den Sex Pistols oder unzähligen Gigs und Kooperationen mit anderen Musikern (Girlschool, Wendy O. James, The Head Cat, Metallica, Dave Grohl, Slash u.v.m.). Lemmy verachtete geradezu Studiobands, das Tourleben war ebenso Teil des Lifestyles wie des Lebensunterhalts. Die Authentizität von Motörhead beruht auf dieser Kombination aus Berufsethos, hedonistischer Lebensfreude und Publikumsnähe.
„Wenn du meinst es drauf zu haben, dann pack die Flagge aus, hisse sie, und schau wer salutiert.“ Lemmy Kilmister 1945-2015
Doch auch Rock ’n‘ Roller kommen in die Jahre. Mit zunehmenden Alter offenbarte sich der breiten Öffentlichkeit eine facettenreiche Künstlerpersönlichkeit hinter dem Image des wilden Mannes. Ein belesener Zeitgenosse voller Charme, Intelligenz und Selbstironie. Branchen unüblich alterte Lemmy Kilmister in Würde. Erst spät fand die Arbeit des begnadeten Songwriters, Produzenten und Vollblutmusikers jene Anerkennung, die ihm in kommerzieller Hinsicht versagt blieb. Im Gegenzug wussten seine Anekdoten und Lebensweisheiten zu unterhalten.
Geradezu berüchtigt für seinen schwarzhumorigen Sarkasmus, blieb kaum jemand von seinen ironischen Spitzen verschont. Ein spleeniger Brite, der Nazidevotionalien aus ästhetischen Erwägungen sammelte und Rassisten für dumme Verlierer hielt. Nach eigenem Bekunden hätte er als Rock ’n‘ Roller mit seiner schwarzen Freundin, den schlechtesten Nazi aller Zeiten abgegeben. Genauso konnte der überzeugte Atheist weder Kirche, Staat noch Ideologien etwas abgewinnen. Freunde und vor allem Frauen beschreiben ihn als einen geradezu altmodisch zuvorkommenden Gentleman. Jemand der auf dem Teppich geblieben war, – bar aller Starallüren. Aus rein pragmatischen Gründen bewohnte er ein kleines vollgestopftes Apartment, nur einen Steinwurf entfernt von seiner Hausbar. Dem legendären Rainbow Bar & Grill auf dem Sunset Strip. Mit Lemmy Kilmister starb ein Original. Heben wir unsere Gläser auf den letzten Libertin im Showhimmel, – der Sex, Drugs & Rock ’n‘ Roll und das Leben mit allen Konsequenzen lebte wie kaum ein anderer.