In Nachbarschaft zum Badetourismus betrieb das autokratische Tito Regime ab 1948 auf der Gefängnisinsel Goli Otok eines der grausamsten politischen Umerziehungslager.
Text: Ilijic / Titelbild – Ausschnitt Goli Otok © Roberta F., CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Die nackte Insel
Aus den Augen, aus dem Sinn. Sträflingsinseln haben eine lange Tradition und die Geschichte von Goli Otok war bis zu seiner Schließung im Jahre 1989 ein dunkles Kapitel der europäischen Nachkriegsgeschichte. Ab 1948 betrieb das Tito Regime in Nachbarschaft zum Badetourismus ein grausames politisches Umerziehungslager. Wer sich mit Goli Otok beschäftigt, stößt auf eine Fülle kaum verifizierbarer Quellen. Mit den letzten lebenden Augenzeugen und beseitigten Geheimdienstakten bleiben allenfalls Indizien sowie fragmentierte Erinnerungen an denen sich die Geschichte von Goli Otok rekonstruieren lässt. Unauffindbar sind die Gräber der vermuteten 5.000 Todesopfer, die Folter, Hunger und Durst erlegen auf der Insel mit aller Wahrscheinlichkeit verscharrt worden sind. Genauso lässt sich die Gesamtzahl der Deportierten allenfalls schätzen. Die Angaben reichen, je nach politischer Couleur von 14.000 bis 50.000 Gefangenen. Nicht zuletzt scheitert eine Aufklärung an der polarisierten postkommunistischen Gesellschaft, die nach wie vor von Partei-Kadern durchdrungen ist. Vergeblich kämpfen die Opfer um Rehabilitierung und Entschädigung. So wie die Gebirgsformation das Lager vor neugierigen Blicken auf der Landseite abschirmte, bleiben die Geschehnisse schleicherhaft.
Kroz stroj, – die Maschine
Mit dem Ende des Kalten Krieges zog auch in Jugoslawien ein neuer Wind auf und die kommunistische Partei befand sich an der Macht, jedoch nicht mehr fest im Sattel. Wir nutzten die Gunst der Stunde, als das Staatsgefängnis unerwartet öffentlichen Besuchern die Tore öffnete. Bis dahin war Goli Otok für den zivilen Schiffsverkehr eine streng abgeriegelte Sperrzone. Zur Zeit unserer Exkursion waren die letzten politischen Gefangenen entlassen und nur noch gewöhnliche Kriminelle inhaftiert. Mit genügend Sprit an Bord brachen wir bei ruhiger See von der nur fünf Seemeilen von Goli Otok entfernten Insel Rab auf, als kaum in Sichtweite zur Sträflingsinsel ein militärisches Schnellboot heranschoss und uns per Lautsprecher aufforderte beizudrehen. Ihr Buggeschütz wies die Richtung und so eskortierten Sie unser Boot bis zur berüchtigten Anlegestelle, an der neue Häftlinge das obligatorische Ritual des „kroz stroj“ erleiden mussten. Kroz stroj bedeutete durch eine lange Gasse im Spalier stehender Mithäftlinge getrieben zu werden, die gnadenlos auf die Neuankömmlinge einprügelten. Niemand überstand diesen Spießrutenlauf unverletzt, zumal die Gefängniswärter diejenigen, welche nicht kräftig genug zuschlugen, ebenfalls durch das Spalier schickten. Solch Sadismus war Teil eines ausgeklügelten Systems, das politisch Inhaftierte nicht nur körperlich und seelisch brach, sondern darüber hinaus zu Mittätern umerzog. Dazu unterteilte man die zur „robija“ (Sklaverei) verurteilten in drei Klassen. Auf der untersten Stufe befanden sich die „banditi“ (Schimpfwort Banditen), deren einzige Chance auf Hafterleichterung darin bestand, Mithäftlinge zu drangsalieren. Umso skrupelloser sich die Einzelnen hervortaten, desto wahrscheinlicher war ein Aufstieg in der Hierarchie. Gefürchtet war der als Höchststrafe verhängte Boykott, bei dem Betroffene von der Gemeinschaft isoliert, der Willkür ihrer Mitinsassen preisgegeben wurden. Den Haftentlassenen war es strengstens verboten, über die Inhaftierungszeit zu berichten. Aus Scham schwiegen die traumatisierten Überlebenden lange Zeit selbst gegenüber ihren engsten Verwandten. Unter Generalverdacht gestellt, war das soziale Umfeld der Häftlinge selbst Repressalien ausgesetzt. Erst Mitte der 70 Jahre tauchen vereinzelt Augenzeugenberichte auf.
Titos Gulag
Wörtlich übersetzt bedeutet Goli Otok nackte Insel. Bar jeder Vegetation herrscht im Sommer eine Gluthitze auf dem felsigen Eiland und im Winter fegt der kalte Bora-Wind über die Kvarner-Bucht. Ungeachtet von Witterungsverhältnissen, verrichteten die Gefangenen unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit in den Steinbrüchen. Zudem forderten katastrophale hygienische Zustände viele Todesopfer. Überlebende berichten einstimmig, dass das Schlimmste an Goli Otok der Hunger und Durst gewesen sei. Für Banditi bestand die Tagesration aus einem Löffel Brei und gerade einmal 200 ml. Wasser. Um zu überleben, blieb ihnen keine andere Wahl als Unterwerfung. Trotzt des nahen Festlandes und der benachbarten Inseln ist bislang keine einzige geglückte Flucht überliefert. Dermaßen ausgezerrt war ohnehin jeder Fluchtversuch zum Scheitern verurteilt. Auch uns war es untersagt, abseits der vorgegebenen Pfade zu wandeln. Einmal an Land schleppten wir uns in der Mittagshitze den zementierten Güterweg hoch zu den Häftlingsbaracken. Selbst unter Aufsicht täuschten die aus den Augenwinkeln erspähten Überreste der Gebäude und planierten Flächen nicht darüber hinweg, welcher Aufwand betrieben wurde, um den Eindruck eines gewöhnlichen Gefängnisses vorzutäuschen. Die entkernten Gebäude ließen keinen Rückschlüsse auf den Verwendungszweck zu. Die Staffage an wohlgenährten Bilderbuchhäftlingen in glatt gebügelter Sträflingskleidung, sowohl die in den Gebäuden abgeflexten Gitterstäbe waren Teil der Inszenierung. Auf Goli Otok verwirklichte sich ein System, das wie eine Umsetzung des letzten Kapitels des dystopischen Romans „1984“ von Georg Orwell anmutet. Wie der Protagonist Winston Smith sollte der Gefangene selbst im Angesicht seiner Vernichtung gegenüber dem großen Bruder Reue und Dankbarkeit empfinden. Das System von Goli Otok war in dem Sinne einzigartig, weil das Überleben der Gefangenen von deren niedersten Instinkten abhing. Ganz nach Orwell, übten sie nach dem 2+2=5 Prinzip in stundenlangen Verhören so lange Psychoterror aus, bis die Delinquenten zusammenbrachen, sich selbst bezichtigten, andere denunzierten sowie Hunger und Durst leugneten. Geheimdienstoffiziere beschuldigten halb Verhungerte, die nach einem Stück Brot griffen des Diebstahls und ergötzten sich darin mit immer ausgepfeilteren sadistischen Spielchen. Der Geschichtsprofessor Vlado Bobinac, ein als Student zu 2 Jahren Zwangsarbeit Verurteilter und mit 94 Jahren der älteste noch lebende Zeitzeuge, bezeichnete die Arbeit in den Steinbrüchen als reine Erholung vom sonstigen Terror. Verstarb ein Häftling, tilgte das Regime alle Spuren seiner Existenz aus. Das ging so weit, dass Verwandte zur Ausreise gezwungen wurden. So schuf der Geheimdienst eine Atmosphäre der Angst und Paranoia, die auch jenseits des Stacheldrahtes nachhallte. Letztendlich verloren die Häftlinge ihre Menschlichkeit, indem sie gezwungen wurden, ihre Leidensgenossen zu foltern, um gemäß der Parole „Freiheit ist Sklaverei“, als Opfer und Täter aus der Gefangenschaft entlassen zu werden. Goli Otok wurde zum Mythos und ein Symbol der Abschreckung.