Illusion eines Sozialismus mit menschlichem Anlitz
Doch wer waren die Gefangenen in Titos Gulak? Mit dem Ausschluss Jugoslawiens aus dem Kominform erfasste die kommunistische Partei bis 1956 eine Säuberungswelle, bei der vermeintliche Stalinisten als „informbirovci“ verhaftet wurden. In den Gründungsjahren Jugoslawiens diente Goli Otok in einer ethnisch und ökonomisch angespannten Situation als Instrument der Konsolidierung von Titos innerer und außerparteilicher Macht. Nachdem sich die Lage stabilisierte, beschritt Jugoslawien als blockfreier Staat einen Sonderweg in der Nachkriegsordnung, bei dem das Regime zwischen den Stühlen des Warschauer Paktes und der Nato sitzend, vom Westen Kredite erpresste und die verfeindeten Blöcke gegeneinander ausspielte. Anfang der 70 Jahre wächst der auf Pump finanzierte Konsum und mit prosperierendem Wohlstand setzt in den Teilrepubliken eine für kommunistische Verhältnisse sehr offen geführte Kontroverse über Dezentralisierung, Föderalismus und kulturelle Autonomie ein. Allerdings findet der gesellschaftliche Diskurs im niedergeschlagenen kroatischen Frühling von 1971 ein jähes Ende. Studenten, Professoren und Intellektuelle füllten die Staatsgefängnisse, unterdessen Hardliner das Ruder in den Teilrepubliken übernahmen.
Blick auf das Strafgefangenenlager Goli Otok
Ab da an entwickelt das Regime paranoide Züge und der jugoslawische Geheimdienst UDBA wird zur alles kontrollierenden Macht im Staate mit nahezu unbegrenzten Befugnissen. Waren die Verhaftungen der Anfangsjahre politisch motiviert, herrscht gegen Ende Jugoslawiens absolute Willkür. Es konnte jeden treffen, wie den damaligen Jurastudent Dobrislav Paraga und Ernest Brajder. Die beiden Freunde gerieten 1981 ins Fadenkreuz des Geheimdienstes, als sie Unterschriften für eine Amnestie der letzten 2.500 verbliebenen politischen Gefangenen sammelten. Der heutige Politiker Dobrislav Paraga wurde zu 5 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und mit gebrochenen Beinen ins Strafgefangenenlager Goli Otok deportiert, während Ernest Brajder noch im Verhör an der Folterung verstarb. Darüber hinaus verschlechtert sich mit der Ost-West Entspannungspolitik die Menschenrechtslage, indem das vom Westen hoffierte Regime die Lobpreisungen auf das jugoslawische Modell als Vorbild eines offenen Sozialismus, wie einen Freifahrtschein verstand, gegen Dissidenten auch außerhalb der Landesgrenzen vorzugehen. Geschätzte 200 Auftragsmorde gehen weltweit auf das Konto der UDBA, davon rund 29 Liquidierungen von kroatischen Dissidenten in der Bundesrepublik. Aktuell verantworten sich zwei ehemalige Führungsfiguren des jugoslawischen Geheimdienstes SDS Zdravko Mustač und sein Untergebener Leiter der SDS Abteilung „Bekämpfung der feindlichen Emigration“ Josip Perković vor dem Münchner Landgericht.
Parteikader & Propaganda
Die Aufklärung gestaltet sich schwierig, da zum Leidwesen der Hinterbliebenen kroatische Behörden mutmaßliche Täter vor Strafverfolgung schützen. Zudem leugnet gut ein Viertel der Bevölkerung die Verbrechen und trauert nostalgisch verblendet durch jahrzehntelange Indoktrination den früheren Verhältnissen nach. Eine Folge der jugoslawischen Propaganda, die in ihrer Kulturproduktion und im Erziehungswesen ein vollkommen verzerrtes Geschichtsbild kreierte, in dem Bestreben die Kulturen im Vielvölkerstaat zugunsten einer künstlichen jugoslawischen Identität auszulöschen. Unter dem Deckmantel des Antifaschismus (Anm. Kroatien war von 1941 bis 1945 unter Ante Pavelić ein faschistischer Vasallenstaat Hitlers.) kultivierten sie einen Gründungsmythos, der in seiner Heroisierung schlichtweg die von Partisanen begangenen Gräueltaten unter Massenaufmärschen, Personenkult und kommunistischer Folklore begrub. Ungeachtet das sich das Morden nach Kriegsende fortsetzte und sich im Krieg auch über ethnische Grenzen hinweg Partisanen, Ustascha und Tschetniks wechselseitig erbitterte Gefechte lieferten, sowie Massaker an der Zivilbevölkerung verübten, formten sie die Legende vom glorreichen vaterländischen Befreiungskampf. Spielten im Kriegsverlauf Partisanen eine Nebenrolle, entschied Tito der Propaganda zufolge den 2. Weltkrieg im Alleingang. Stets heiligte auf dem Balkan der Zweck die Mittel. Ganz zu schweigen, dass Großmächte, ob nun die Triplé Entente, das Osmanische Reich oder die Mittelmächte den Balkan als ihren Vorhof und Spielwiese betrachteten. War die Idee eines Nationalstaats aller Südslaven nur eine unter vielen panslawistischen Strömungen, deren Konflikte sich wie ein roter Faden von Beginn des 19. Jahrhunderts bis zu Balkankriegen neueren Datums zogen. Ironischerweise konnte es im real existierenden Kommunismus keine Aufarbeitung des Faschismus geben ohne den eigenen autoritären Stechschritt bloß zu legen. Eine Aufzählung der Opfer lässt sich über die Todesmärsche von Bleiburg bis hin zu den Aufständen im Kosovo fortführen. Das Jugoslawien der Gleichheit und Brüderlichkeit bestand allenfalls in der Phantasie naiver Träumer. Die Bevölkerung rutschte nahtlos von einer Diktatur in die Nächste.