Anfang vom Ende
Wie in jedem autoritären Polizeistaat wurden politische Diskussionen in der Öffentlichkeit gemieden und am heimischen Küchentisch vorsorglich die Fenster geschloßen. Ansonsten ging die Bevölkerung ihrem Alltag nach und arrangierte sich mit dem Überwachungsapparat. Entwickelte sich doch in Jugoslawien im Laufe der Jahrzehnte eine ganz eigene kommunistische Bourgeoisie, denen es selbst in der unproduktiven Planwirtschaft an nichts mangelte. Frei von existenziellen Nöten garantierte das System konformen Bürgern ein relativ sorgenfreies Leben. Dieses sollte sich mit der anhaltenden Wirtschaftskrise, Überschuldung und der Hyperinflation in den 90 Jahren ändern. Traten vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise die strukturellen, institutionellen und konstitutionellen Schwächen des maroden Staates offen zutage. In Serbien rückten nie überwundene Begehrlichkeiten nach einem großserbischen Reich in den Vordergrund, während in Slovenien als auch Kroatien das wirtschaftliche Nord-Süd-Gefälle und die damit einhergehenden Transferzahlungen zum Politikum wurden. Noch vor dem ersten Schuss auf Sarajevo fanden von Kroatien bis zum Kosovo Umzüge und Demonstrationen nationalistischer Serben statt. Während in Kroatien die kommunistische Partei sang und klanglos bei den ersten freien Wahlen 1990 abtritt, setzt sich der Parteivorsitzende der Kommunisten Serbiens Slobodan Milošević opportunistisch an die Spitze der nationalistischen Bewegung eines Vojislav Šešelj oder Vuk Drašković. Geschickt sichert sich Milošević sein politisches Überleben, indem er Teile der Opposition in seine Regierung einbindet. Mit seiner Amselfeld-Rede und Verfassungsänderungen legt er den Auftakt für die Balkankriege. Zum entgültigen Bruch der Föderation führen durch die jugoslawische Volksarmee gedeckte Massaker serbischer Freischärler.
Kommunistische Altlasten
Ein maßgeblicher Grund, weshalb in Kroatien die damaligen Funktionäre nie zur Rechenschaft gezogen wurden, mag daran gelegen haben, dass sich das bevölkerungsarme Land während des Unabhängigkeitskrieges keine innerpolitischen Spannungen leisten konnte. Auf eine funktionierende Administration angewiesen, wäre der frisch gegründete Staat ohne eine Kooperation mit der ehemaligen Elite zusammengebrochen. Die Unabhängigkeitsbewegung wurde hauptsächlich von der unterprivilegierten Masse und einer ungewöhnlich großen Diaspora getragen, welche nach Präsident Franjo Tudjmans Tod die wichtigste Identifikations- und Integrationsfigur verlor. Nach erlangter Unabhängigkeit übernahmen schleichend die alten Kräfte in ihrer gewohnten Methodik zentrale Positionen in Politik, Justiz, Polizei und Medien. Heutzutage sehen sich Oppositionelle nach wie vor Einschüchterung und Bedrohung ausgesetzt, wie die bekannt gewordenen Fälle von Zwangseinweisungen in Psychatrien von Demonstranten und weniger prominenten Persönlichkeiten belegen. Erst kürzlich wurde der Globalisierungsgegner Marko Francišković entlassen, nachdem er wegen eines Facebook Disputs mit dem kroatischen Innenminister Ranko Ostojić unter ungeklärten Umständen in der Anstalt Vrapče für 6 Monate einsaß. Nicht umsonst trägt Ranko Ostojić unter Oppositionellen den Spitznamen des berüchtigten Architekten von Goli Otok Aleksandar Ranković, der während seiner Amtszeit (1946-1966) als Innenminister den jugoslawischen Geheimdienst zu einem Staat im Staate ausbaute. Ranković, ein enger Vertrauter Titos und sein Stellvertreter, verkündete in einer Erklärung vor der Jugoslawischen Skupština (jugoslawische Versammlung) 1951. „Wir liquidierten 568.000 Volksfeinde (Tschetniks, Ustascha) und durch unsere Lager gingen 3.777.776 Gefangene.“ (Politika«, Beograd, 1. Februar 1951). Wie trivial die Dinge bei aller geschichtlichen Komplexität manchmal liegen, zeigt die Interview-Reihe der Journalistin Tamara Nikčević mit dem Lagerkommandanten von Goli Otok. Der hochdekorierte Kriegsheld Jovo Kapičić (1919-2013), ein glühender Anhänger Titos und williger Handlanger Rankovićs, setzte sich nach Schließung des Lagers in Richtung Belgrad ab. Wo er eigenem Bekunden zufolge bei dem Gedanken an Goli Otok wie ein Baby einschlief. Schon in früheren seiner zahlreichen Interviews fiel Kapičić als Philanthrop auf, etwa wenn er Gefangene als Müll bezeichnete oder Überlebende für ihre „Lügen“ am liebsten eigenhändig erwürgen wollte. Im Interview bestreitet er zunächst jegliche Verantwortung, um sich schließlich als „das größte Opfer von Goli Otok“ in Widersprüche zu verwickeln. Immerhin stehen Vorwürfe von ihm angeordneter Exekutionen im Raum. Seine Version von Goli Otok ähnelt dem einer Bildungsanstalt mit exzellentem Freizeitangebot. Unverhohlen gefiel sich Kapičić darin, in seiner Rolle als Ex-Geheimdienstler, den Eindruck zu erwecken im Staate überall mitgemischt zu haben. Auf seine persönliche Verantwortung angesprochen, überkam den Redseligen immer wieder selektive Amnesie in Detailfragen. So war es ihm unerklärlich, wie sich der in Ungnade gefallene kroatische Politiker Andrija Hebrang, in seiner Zelle (Untersuchungsgefängnis Glavnjača, Belgrad) an einem nicht vorhandenen Deckenventilator erhängen konnte. Offenbarte der notorische Lügner nur die altbekannte Banalität des Bösen, als er sich mit folgenden Worten rechtfertigte:
„Wir waren jung und wir waren Götter!“
Jovo Kapičić
Mit den bloßen Händen der Inhaftierten erbaut, wandelte sich das Staatsgefängnis Goli Otok von anfänglichen Baracken zu einem autarken industriellen Komplex mit der Infrastruktur einer Kleinstadt. Nach der Schließung wurde das Lager zur Plünderung freigegeben. Saisonal bieten Veranstalter von Rab aus Bootstouren und Führungen an. Vereinzelt nutzen Schafhirten die Insel als Zwischenstation für ihre Herden, ansonsten bleiben die Objekte sich selbst und dem Verfall überlassen. Vom Ambiente angezogen, wurden auch schon Porno-Filmcrews gesichtet. So manchen Besucher wundert die „üppige“ Vegetation. Zur Hintergrundgeschichte der von Häftlingen gepflanzten Bäume und Gärten mag man sich Donald Rumsfelds zynischen Kommentar zu den Folter-Praktiken der CIA vergegenwärtigen. Auf dem felsigen Grund und unter den klimatischen Bedingungen gedeiht auf Goli Otok allenfalls Unkraut. Als lebende Schattenspender zwang man die Häftlinge unter der sengenden Sonne, stundenlang regungslos neben ihren gepflanzten Sprösslingen zu stehen. Nicht von ungefähr errichtete die CIA ihre Foltergefängnisse in den ehemaligen Ostblockstaaten. Bislang versucht der kroatische Architektenverband vergeblich mit Unterstützung des Berlage-Instituts aus Rotterdam eine Gedenkstätte auf Goli Otok zu errichten. Es könnte künftigen Generationen als anschauliches Mahnmal dienen, welchen tödlichen Wahnsinn Geheimdienste entwickeln. Zumal der BND über die Umtriebe der UDBA genauestens im Bilde war, es aber den Verantwortlichen politisch opportun erschien Opfer billigend in Kauf zu nehmen. Nach der Unabhängigkeit Kroatiens bestand Konsens darüber das sich das Geschehene nie wiederholen dürfe. Als Konsequenz wurde die UDBA aufgelöst und eine Neugründung von Geheimdiensten in der Verfassung Kroatiens für alle Zeiten untersagt. Die von Sozialisten geführte Nachfolge-Regierung revidierte jedoch die Entscheidung im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen.