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Eingebuchtet in Saint Quentin

Zur Abwechslung durchgelegene Hotelmatratzen gegen jugendgestählte „Auberge de Jeunesse“ Betten tauschen. Ein nicht repräsentativer Praxistest.

Text & Foto: Ilijic / © nikkiwunderkind

Frage des Komforts

Zu den wenigen Annehmlichkeiten auf Reisen gehört, sich mit Hilfe des Hotel Fernsehens Unterhaltung und je nach Begleitung Zerstreuung zu verschaffen. Sollte mangelnde Sprachkenntnis und technische Hürden das Vergnügen trüben, gibt es kaum Gründe nicht jugendgestählte „Auberge de Jeunesse“ Betten durchgelegenen Hotel Matratzen vorzuziehen. In Frankreich ist die Komfortsteigerung bis zum vierten Stern marginal, die Preissteigerung dagegen proportional. Ist die Entscheidung erst getroffen in Nachbarschaft von Schulklassen zu nächtigen, erübrigt sich die detaillierte Reiseplanung. Einem Kreuzweg ähnlich, erscheint bei der Verbreitung der Herbergen die Routenplanung sowie das eigene Schicksal vorgezeichnet.

Kreuzwege und gestreifte Bettwäsche

Die erste Station führt uns ins beschauliche Saint Quentin. Grenznah zu Belgien, im Norden der Picardie  gelegen, empfiehlt sich diese Zwischenstation all denen, die mit leerem Tank vor Einbruch der Dunkelheit Schutz suchen. Abzüglich aller Kreisverkehre liegt das Örtchen im Grunde genommen an einer einzigen Straße. In Quentin regnet es selten zwischen den Schauern und so reicht ein Kreisverkehr aus, um sich bei mangelnden Sichtverhältnissen ordentlich zu verfahren. Ängstliche Naturen sollten nicht vorschnell aufgeben, die Jugendherberge liegt als Kaserne getarnt an der linken Straßenseite. Das Ziel ist so gut wie gefunden, wenn sich bei Ihnen das Gefühl einstellt, unerlaubt das Gelände eines Raketenstützpunktes zu betreten. Bekanntlich ist Vorbereitung das halbe Leben und so ist es ratsam, zumindest eine Telefonnummer des Bodenpersonals zur Hand zu haben. Wie oft wurden mir Zimmerschlüssel außerhalb der Geschäftszeiten an einer Straßenkreuzung ausgehändigt. Sollte der Übergabeort noch so abgelegen, dunkel und nach leeren Brieftaschen riechen: Sie können sich getrost auf die Nummer einlassen, selbst wenn Ihnen der Bote in Person eines Rastafari auf Rollschuhen erscheint. Aber dazu mehr im Le Havre Kapitel. Architektonisch kommt die Jugendherberge dem kalifornischen Bundesgefängnis Saint Quentin recht nahe. Ein trostloser Betonbau mit Eisengittern vor den Fenstern. Blau gestreifte Bettwäsche und Etagenbetten aus Stahl komplementieren das Bild.

Zum Glück enden hier die St. Anger haften Gemeinsamkeiten. Im Gegensatz zu dem Namensvetter aus Kalifornien leiden die Insassen nicht an chronischer Überfüllung. In seiner Unbewohntheit und Verlassenheit muss diese Herberge den Vergleich mit Stanley Kubricks Hütte aus Shinning nicht scheuen. Axt-Mördern werden Sie nicht begegnen, die Wartezeit auf potenzielle Opfer ist selbst Psychopathen zu lang. Solch Leerstand hat durchaus seine Vorteile. Unerschrockene werden einen erholsamen Schlaf finden und nach einem selbst für französische Verhältnisse kargen Frühstück abreisen. Den Gast erwartet in dieser Herberge die übliche Standardausstattung. An der Reinlichkeit der Zimmer und sanitären Anlagen gibt es nichts zu bemängeln. Was bei der geringen Zahl der Verschmutzer nicht weiter verwundert. In Saint Quentin wünschen sich Hase und Igel Gut Nacht und mir bleibt es ein Rätsel, weshalb gerade an einem Ort bar jeder Sehenswürdigkeit eine Jugendherberge gesetzt wurde. Gästen bleibt zumindest die Anekdote in Saint Quentin eingesessen zu haben.