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Die Zeitungskrise

Die Zeitungskrise nahm mit dem Platzen der Dotcom-Blase ihren Anfang. Bestandsaufnahme einer selbst verschuldeten Misere.

Text & Foto: Ilijic / © nikkiwunderkind

Die fetten Jahre sind vorbei

Verfolgt man das aktuelle Medienrauschen, bleibt nach der Lektüre, der als Meinung und Kolumnen deklarierten Papiererzeugnissen, beim Leser oft nur ein unbehagliches Gefühl übrig. Der Erkenntnisgewinn reicht nicht einmal mehr aus, um darin einen Fisch einzuwickeln. Weshalb ist der allgemeine Tenor geprägt von Hysterie und der Ohnmacht auf einem Floß zu treiben? Während Politiker ihre Unzulänglichkeiten gekonnt aussitzen, erfasst den Journalisten die blanke Existenzangst. Die fetten Jahre scheinen vorbei und prekäre Beschäftigungsverhältnisse nicht mehr weit. Degradiert zum Tellerwäscher der Nachrichtenticker schreibt er gegen sinkende Auflagenzahlen und seine publizistische Bedeutungslosigkeit an. Den Arglosen trifft Ungemach oft unverhofft. Kurz vor dem Millennium bescherrt die New Economy den Zeitungsverlagen traumhafte Werbeeinnahmen, die sich im Druck unzähliger Sonderhefte niederschlagen. Es knallen die Korken und so manches Haus outsourced seine Betriebsfeiern für hohe Beträge ins Ausland. Bis dahin ein ganz normaler Fall von Branchen übergreifender Hybris, welche naturgemäß Erfolgreiche ereilt. Im unvermeidlichen Knall der platzenden Dotcom-Blase brechen mit dem Nemax auch die Anzeigenerlöse ein. Danach verschlafen die Verlagshäuser zunächst den aufkommenden Online-Werbemarkt, um bei der anschließenden Aufholjagd ihre Rücklagen in einem längst saturierten Markt zu verheizen. Die unter dem Motto 2.0 erworbenen Special Interest Portale sind so spitz, dass sie allenfalls Löcher in die Bilanzen reißen. Folglich prägen Rationalisierungen, Umstrukturierungen sowie Insolvenzen die Media-Landschaft. Derweil sich neue Marktteilnehmer ganz anderen Kalibers anschicken, nicht nur den Werbemarkt grundlegend zu ändern.

Global Player diktieren die Spielregeln

Anders als der Name vermuten lässt, wurde der Online-Werbemarkt bis dato traditionell als vis-à-vis Handel abgewickelt. Ein Geflecht aus Marktforschungen, Mediaagenturen, Vermarkter und Websites ermittelten den Preis von Werbung. Die Werbeauslieferung bezog sich ausschließlich auf den Kontext von Webseiten und den darin vermuteten Zielgruppen. Google, Facebook und Konsorten automatisierten das Business und etablierten eine Börse ohne Zwischenhändler. Mit netzweitem User-Tracking und Big data versprechen sie dem Werbetreibenden die Verheißung, noch durch das letzte Schlüsselloch des Users zu schauen. Der Markt wandelte sich von einer kontextsensitiven zu einer Tracking basierten, personalisierten Werbeauslieferung. Einem solchen Konkurrenten, der sich mit seinen Diensten anschickt ganze Lebensbereiche zu durchdringen, haben die alteingesessenen Akteure nichts entgegenzusetzen. Ganz im Gegenteil ließen Sie sich von den posthumanistischen Heilsversprechen blenden und postulierten den permanent vernetzten Menschen. Von da an wurde integriert und optimiert, bis fast jedes Blatt im responsive Design unverwechselbar gleich aussah.

Von Algorithmen und Denkfehlern

Mißverstandene Modernität fördert bei neuen Technologien kardinale Denkfehler zutage. Nur schleppend setzt sich bei Verlagen die Erkenntnis durch, dass Unternehmen, die mit Algorithmen Geld verdienen, unter dem Begriff Media etwas völlig anderes verstehen. Google und Facebook fungieren vor allen Dingen als Provider, die den Usern bequemen Zugang zu Informationen verschaffen. Als netten Nebeneffekt eignen sich die kalifornischen IT-Schmieden fremden Content und Nutzerdaten an. Ein Internet-Surfer braucht heutzutage das Google Universum kaum noch zu verlassen. Selbst nicht mehr existenter Content glimmt wie ein verglühter Stern noch etliche Zeit im Cache der Suchmaschinen weiter. Immer geht es um Quantität, aus der sich schließlich in der Usability der Dienste für den User eine Qualität ergibt. Dass der Mensch ein zur Bequemlichkeit neigendes, durchschnittliches Gewohnheitstier ist, erleichtert das Vorhaben ungemein eine marktbeherrschende Position zu erreichen. Den Rest besorgen Marketing, Konditionierung und der digitale Fingerprint. Nicht umsonst ordnet Amazon`s Big data Maschinerie Käufer Produktgruppen zu. Zudem verfolgen diese Firmen oft das Franchising Prinzip, unternehmerische Risiken auf ihre Zulieferer abzuwälzen. Für Amazon, Google und Apple ist der Erfolg einzelner Produkte in ihren App-Stores unerheblich. Stets trägt der Zulieferer die Entwicklungs- und Marketingkosten. Der Gewinn generiert sich ausschließlich über die Masse. Wie sehr diese Prinzipien von Journalisten missverstanden werden, kann man an der Kritik des Feuilletons an Frank Schirrmachers treffenden Analyse im Buch „Ego: Das Spiel des Lebens“ ablesen. Wer als Zeitungsmacher glaubt unter diesen Prämissen Journalismus betreiben zu können, verabschiedet sich von seiner über Jahrzehnte gewachsenen Expertise und liefert sich einer Technologie aus.

Das Weltgeschehen als Spielfilm

So manche Visionäre fabulieren, dass Journalisten mit Fortschreiten der automatisierten Textgenerierung, zukünftig nur noch Monitoring Aufgaben ausüben werden. Weitaus naheliegender, dass Suchmaschinenoptimierung und Conversion-Tracking schon heutzutage journalistische Qualität negativ beeinflussen. Quantitative Maßstäbe, wie die mit der Werbeauslieferung verbundene Aufmerksamkeitsökonomie, verändern nachhaltig das journalistische Handwerk. Geld wird nur verdient, wenn sich der Leser beständig durch das Angebot klickt. Jedoch ist das Weltgeschehen kein Spielfilm. Der Preisverfall bei Bannerwerbung tut sein Übriges, um Journalisten zum Fließbandarbeiter zu degradieren. Häufig wird argumentiert, dass Tageszeitungen Informationen für den Leser aufbereiten und nach Relevanz filtern. Dieses Argument wird ironischerweise durch allzu marktschreierische und irreführende Headlines von banalen sowie der Masse an irrelevanten Meldungen konterkariert. Zwangsläufig sind Ermüdungserscheinungen beim reizüberfluteten Leser erwartbar. Zum Selbstverständnis großer Verlage gehört, sich als den Mächtigen auf die Finger schauende vierte Gewalt im Staate zu sehen. Dabei beträgt die Halbwertzeit, bzw. der Aufmerksamkeitshorizont aktueller Ereignisse, mögen sie noch so sehr die Strahlkraft von Fukushima besitzen, maximal sechs Wochen. Politik ist sich dessen bewusst und weiß dieses zu nutzen. Bei der schieren Masse an Publikationen erscheint jede eingebildete Meinungsführerschaft obsolet. Zudem beschädigen hasardierende Chefredakteure, die auf den Geschmack gekommen sind mit berechnendem Kampagnen-Journalismus mitregieren zu können, nachhaltig die Glaubwürdigkeit ihres Berufsstandes. Zur allgemeinen Politik-Verdrossenheit gesellt sich eine zunehmende Medien-Aversion der Leserschaft.

Ein Blick in die Glaskugel

Ein Blick über den Teich reicht aus, um zukünftige Entwicklungen im deutschen Verlagswesen vorwegzunehmen. In den Staaten währt das Zeitungssterben nicht erst seit dem Aufkommen des Internets. Nirgends sonst lassen sich Innovationen so gut beobachten. Augenscheinlich zeichnet sich eine Intensivierung des User-Trackings sowie die Ausweitung des Conversion-Trackings auf den Content ab. Zum Beispiel experimentierte die New York Times mit einem Algorithmus, der frühzeitig die Bereitschaft des Users sein Abonnement aufzukündigen, erkennen soll. Insgesamt schreitet die Fragmentierung des Marktes, aber auch die allgemeine Ratlosigkeit bei den großen Blättern voran, nachdem schon etliche Geschäftsmodelle enttäuschten, die hierzulande erst in der Erprobung stecken.

Jenseits von melodramatischen Beschwörungen vom kulturellen Untergang des Abendlandes lässt sich nüchtern festhalten, dass den großen Zeitungsverlagen die auf Werbung basierende Geschäftsgrundlage abhandenkommt. Allerdings kann man dieses nicht losgelöst von Fixkosten und Renditeerwartungen betrachten. In der freien Wirtschaft gilt das Prinzip, dass Innovationsführer Märkte lenken und der Rest vom Markt getrieben wird. Die Tech-Riesen werden sich ihren Führungsanspruch im Werbemarkt nicht mehr abjagen lassen. Dazu können Sie mit enormen Eigen- und Fremdkapital, Know-how und Lobbyismus strategisch technische Standards zu ihren Gunsten definieren. Die deutschen Verlage haben es versäumt, wie ihre französischen Kollegen, mit Google eine jährliche pauschale Summe auszuhandeln, um doch noch den Spatz in der Hand zu halten. Selbstüberschätzung und der eigene Tellerrand standen dem wohl im Wege. Zumal die scheinheilig an Google vorgebrachte Kritik, stellvertretend an die Group M gerichtet ist. Einem Düsseldorfer Agentur-Konglomerat, das zig Mediaagenturen unter seinem Dach vereint und mit einem Jahresumsatz von über 3 Milliarden Euro als stille Eminenz den deutschen Verlagen die Bedingungen diktiert. Summa summarum stecken die Akteure in einer Zwickmühle zwischen Mediaagenturen, Renditenerwartungen der Investoren, Politik und Leserschaft. Um den radikalen Schnitt und der Risikobereitschaft zu Investitionen werden die Herausgeber nicht herumkommen. Dabei scheint es ratsam sich auf die Expertise der Mitarbeiter sowie die eigene Tradition und Kernkompetenzen zu besinnen. Jedoch gibt es weder Patentrezepte noch Garantien, dass Qualitäts-Journalismus automatisch Erfolg verspricht. Kleinere Fachverlage wie der Heise Verlag agieren erfolgreich, während andere Verlage trotz lesenswerter Inhalte wie jüngst die Wirtschafts-Woche mit Auflagerückgängen zu kämpfen haben. Wie wahr die Aussage Jakob Augsteins, dass das höchste Gut von Zeitungen heutzutage deren Bekanntheitsgrad ist. Allerdings ist der Markenwert schnell verspielt, wenn die Substanz ausschließlich aus Marketingluft besteht. Eine überfällige Konsolidierung des Zeitungsmarktes ist begrüßenswert. Im Aufbruch verkrusteter Strukturen eröffnen sich neue Chancen. In letzter Zeit heben Journalisten in Eigenregie wieder Publikationen in kleinerem Rahmen aus der Taufe. Es bleibt spannend zu verfolgen, wie die durch Mäzenatentum, Crowdfunding und Abomodellen finanzierte Wissenschafts-, Politik- und Kultur-Magazine sich auf dem Markt behaupten. Der Vielfalt journalistischer Ausdrucksformen kann das nur guttun, nachdem diese von den etablierten Medien über Jahre vernachlässigt wurden. Vom Buchdruck bis zum Film setzten neue Technologien die etablierten Medien unter Existenzdruck und zwangen sie, ihre Daseinsberechtigung neu zu definieren. Ob nun in der Malerei oder Photographie erwuchs aus der Konkurrenzsituation, dem schon abgeschriebenen Medium eine einzigartige und nur ihm innewohnende Ausdrucksform. Gerade in unserer Umbruchszeit giert der Leser nach mehr, – und ist nach wie vor bereit für Gedrucktes Geld auszugeben.