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Der Fall Julian Assange

Julian Assange ist der erste Mann, der ohne Anklageschrift wegen eines ominösen Kondoms per internationalem Haftbefehl gesucht wird. Eine Satire über Whistleblower und Vertriebler.

Text: Ilijic / Titelbild Ausschnitt / Julian Assange in Ecuadorian Embassy (London) © By Snapperjack from London, UK. (DSC_4486), CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons

Whistleblower & Vertriebler

Seit 2012 verbringt Julian Assange seine Tage in der Londoner Botschaft Ecuadors. Verfolgt man die Einzelschicksale von Whistleblowern, drängt sich die Frage auf: Gibt es eine Zweiklassengesellschaft unter Flüsterern? Wie ist es zu erklären, dass ein Domscheit-Berg als Openleaks Gründer und gern gesehener TV-Gast ein relativ unbehelligtes Dasein führt, während sein ehemaliger Kompagnon ein Leben unter Arrest fristet. Ähnlich der Fall bei dem Gespann Edward Snowden und Glenn Greenwald. Während Snowden sich bis auf weiteres mit dem russischen Winter anfreunden darf, feiert sein Enthüller Erfolge als Autor. Der alte Grundsatz, mitgefangen – mitgehangen, scheint aufgehoben.

Eine Lektion in Sachen Kapitalismus

Die Antwort darauf lässt sich wie eine SCM-Kette auf unsere Wirtschaftsordnung runterbrechen. Die langweilige Leier vom Haifisch und den Zähnen erspare ich Ihnen und komme zum Kern und einzigen Gewissheit des Kapitalismus: Sein Integrationswille alles und jeden in Profit zu verwandeln. Ingredienzien aus Informationstechnologie, genügend Freihandelszonen, einem Transportwesen ohne Segel und zur Not hilfreichen Kinderhänden garantieren einen reibungslosen Ablauf. Abgesehen von zwei kurzen ideologischen Gastspielen, blieb dieses Prinzip von der ersten Manufaktur bis zum modernen StartUp gleich und simpel. Der Kapitalismus ist so schön wertneutral, solange der ROI (Return on Investment) gewahrt bleibt. Ein perfides System, das im Gewande der Ideologielosigkeit als Naturgesetz daherkommt. Nur zwei Faktoren können das marktwirtschaftliche Idyll der Gleichsetzung von Mensch und Materie trüben: Idealismus und Fanatismus. Dabei sollte Fanatismus nicht allzu eng gesehen werden. Es besagt lediglich, dass jemand von einer Idee besessen ist. So findet sich mancher mitsamt vier Laptops unter dem Arm in der Transitzone des Moskauer Flughafens wieder. Je nach Überzeugung kann Fanatismus in einer Schwäche für Jungfrauen oder in einer zarten Empfindung für Bürgerrechte münden. Nicht dass die Taten der Überzeugungstäter globale Auswirkungen hätten. Die Opferzahlen von Selbstmordanschlägen sind nach den Maßstäben amerikanischer Drohnen- und Bomberpiloten Kollateralschäden. Kein Mensch schafft es, alle auf WikiLeaks veröffentlichten Dokumente in einem Leben durchzulesen. Es zählt einzig Prinzip und Geste. Wenn sie vor ein Gericht treten, bestätigt ihre Reue zugleich das Rechtssystem. Keine Gnade dürfen renitente Seelen erwarten. Nach wie vor beinhaltet unser westliches Rechtssystem inquisitorische Elemente. Ihre Einwände können Sie gerne an Chelsea Manning richten.

Men on a mission

Um 2010 begann sich das Blatt für WikiLeaks mit der Kooperation von Spiegel, dem Guardian und der New York Times zu wenden. Bis dato widerstand die Enthüllungsplattform allen Widrigkeiten von chronischem Geldmangel bis hin zu Dos-Angriffen und Domainsperrungen. Im Zuge dieser Kooperation erreichten die Publikationen „Afghan War Diary“ und die „The Iraq War Logs“ erstmals die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit. Initialpunkt war das von Chelsea Manning an WikiLeaks lancierte Video, das den Beschuss von irakischen Zivilisten durch einen US-Kampfhubschrauber zeigt. Die unter dem Titel „Collateral Murder“ veröffentlichte Aufnahme, erregte weltweites Entsetzen und Abscheu. Parallel entspann sich ein von den Medien nur halbherzig geführter Ethik Diskurs über die Konsequenzen von Transparenz in der Politik und Gesellschaft. Welche Gründe schließlich zum Bruch der Zusammenarbeit führten, wissen nur die Beteiligten. Anscheinend gab es unüberbrückbare strategische Vorstellungen. Während die Medienhäuser und Domscheit-Berg hinter WikiLeaks bereits das Geschäftsmodell erkannten, war Julian Assange als „Man on a Mission“ nicht von seinem kompromisslosem Idealismus abzubringen. Vom entgangenen Image Gewinn abgesehen, an der Seite von Robin Hood für eine gerechte Sache zu kämpfen, muss die Enttäuschung groß gewesen sein. Schließlich witterten die Verlage große Storys und eine kostengünstige Versorgung mit brisantem Material.

Julian, stinkt!

Von da an änderte sich die Berichterstattung über Julian Assange. Ein kurzer Weg vom geschätzten Kollegen bis zur Persona non grata. Die Kampagne gipfelte schließlich in der Schlagzeile „Assange stinkt“. Mit Gerüchen lässt sich Geld verdienen, allerdings widerlicher wurde selten ein Mensch in einem geruchlosen Medium verunglimpft. Das medial kreierte Image von Julian Assange ist heutzutage das eines narzisstischen Popstars. Zur erfolgreichen Öffentlichkeitsarbeit steuerte Domscheit-Berg mit dem verfilmten Buch „Inside Wikileaks, – meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt“ maßgeblich seinen Anteil bei. In höhere Sphären der Bedeutungslosigkeit als die einer Kunstfigur, kann man nicht gehoben werden. Auf gleiche Stufe gestellt mit Kurt Cobain und Che Guevara. Ein sozusagen determiniertes Schicksal, – Julian Assange und Edward Snowden können sich noch so sehr dagegen wehren, sie werden, wenn nicht hinter Gittern, so doch als Aufdruck auf einem T-Shirt enden.