Auf keinem Fleck der Erde liegen Kunst, Kitsch und Kuriositäten so geballt beieinander wie auf Malta. Eine Reportage über die Wunderkammer des Mittelmeeres.
Text: Ilijic / Titelbild – Ausschnitt Mdina Cathedral © By Antonio and Vincenzo Manno (Own work, Jean-Christophe BENOIST), GFDL, CC-BY-SA-3.0, via Wikimedia Commons
Traum in Ocker
Ocker ist die vorherrschende Farbgebung auf Malta und das in allen Schattierungen. Von der felsigen Küste bis zur Haarfarbe der Frauen. Allerdings sind Letztere verschlossener als maltesische Balkone, und während mein Blick den Gang entlang sinniert, halten diese Sphinx mit von Flugangst geplagten Passagieren Händchen. Weitere anatomische Beobachtungen unterbindet jäh eine Kabinendurchsage. Die Landung ist vergleichbar mit der auf einem Flugzeugträger, nur das Fernsehantennen, Balkone und Wäsche bruchstückhaft an meinem Guckloch vorbeiziehen. Abruptes Halten, obligatorisches Klatschen, wir sind gelandet. Jedem Land sein Taxi, meines ist schwarz und ein Mercedes. Es fährt nach St. Paul`s Bay, unter Einheimischen zumeist San Pawl il-Baħar ausgesprochen. Der Malteser schreibt von rechts und fährt links. Ein Umstand, der mir beim Aussteigen fast das Leben kostet. Erst mal einen Quarter Pounder bei Mc Donalds, der sicherste Weg in kulinarisch unbekannten Terrain Magenschmerzen vorzubeugen.
D-DAY am Buffet
Einquartiert in einer Massen konformen Hotelanlage mit Pool und Bar im Stadtteil Buġibba, betrete ich halbpensionszeitig einen orientalisch gekachelten Speisesaal.
Als sich der Raum mit Gästen füllt, beschleicht mich der Verdacht in einem Altenheim gebucht zu haben. Ferner irritieren mich aufgeschnappte Gesprächsfetzen zweier älterer Herren, die demnächst ein Golfturnier gegen Buddies von der Royal Air Force bestreiten. Man sitzt zu Tisch, gereicht wird traditionell englisches Kalbschnitzel in Mintsoße. Gedämpfte Unterhaltung vermischt sich mit Besteck und Gläserklirren. Am Tisch gegenüber hat Willy der Grapefruit verzogenen Mimik seiner Gattin Margret nach zu urteilen, Pam eine Zote zugesteckt. Der ehemalige GI, mit dem verschmitzt ins Gesicht gegrabenen Lächeln, kennt Deutschland aus diversen Schützengräben wie seine Westentasche und spielt in Gesellschaft gern den Klassenclown. Sein fünfzigjähriger Sohn will von all den Mätzchen nichts wissen und gibt demonstrativ das bockige Kind. Mit der Beherrschtheit des geübten Trinkers sitzt Pam eingeklemmt zwischen Willy und Raymond. Sie geben der hageren zur Schlagseite neigenden ehemaligen Lehrerin aus dem Mittleren Westen Geleitschutz. Seit seiner Pazifikstationierung als Seekadett hat Raymond beim Eskortieren von nun nicht mehr ganz so jungen Damen nichts an Charme eingebüßt. Bei seiner hochgewachsenen Erscheinung übersieht man geflissentlich das Herzleiden, des nun kurzatmigen Ex-Bankangestellten aus New York. Wir heben zeitgleich die Gläser und prosten uns zu. Abends versammeln sich die Veteranen rund um das Klavier in der Bar. Im Gesang von Land of Hope and Glory erwarte ich jederzeit, dass Churchill und Roosevelt Arm in Arm am Tresen lehnen. Doch es rührt einen, wie sich die Silberrücken mit kindlicher Vertrautheit umsorgen. Mit einem waschechten Kraut am Tisch dürfen natürlich Fragen nach Hitlers aktuellen Popularitätswerten nicht fehlen. Selbstverständlich weiß ich mit meinem Migrationshintergrund nur Gutes über das Herrenvolk zu berichten. Als sich die Gesellschaft schlaftrunken auflöst, beherzige ich noch die augenglänzende Empfehlung von Willys missratenem Spross, mir das Fernsehprogramm als Betthupfer anzusehen. Italienisches Fernsehen, ein ganztägiger wet T-Shirt contest.
Feuerwerk & enthauptete Täufer
Zur Winterzeit ist Malta die reinste Wunderkammer. Abgeebbte Touristenströme, erträgliche Temperaturen sowie genügend Sonnenstunden lassen ausgiebige Erkundungen zu. Die Vegetation ist karg, abgesehen von Karpernsträuchern, Palmen, Pinien und vereinzelten Olivenbäumen. Zu sehen gibt es mehr im Verborgenen. Ob Boots-Touren durch Grotten, Tropfsteinhöhlen-Besichtigungen in Privathäusern oder oasenhaften Gärten in abgeschotteten Innenhöfen. Stets ist es ein Blick hinter den Vorhang, in Palästen zumeist ein schwer rotsamtener. Die Enthauptung Johannes des Täufers von Caravaggio ausgestellt in der St. John`s Konkathedrale oder allerlei ausgestopftes Getier im Naturkundemuseum. Der Malteser neigt zur Theatralik.
Wahrlich beindruckend ist das kriegerische Erbe. Immer wieder erstaunlich, welchen Aufwand Menschen betreiben, die eigene Gattung ins Jenseits zu verfrachten. Wo sonst in Saint-Malo eine Mauer ausreicht, stehen in Valletta unzählige Festungsbauten. Diese hatten die europäischen Ordensbrüder bei aller Sympathie des Osmanischen Reiches aber auch bitter nötig. So findet sich alle naselang ein Kriegsmuseum, vom Großmeisterpalast bis zu den Lascaris War Rooms, in dessen Bunkern General Montgomery die Invasion Süditaliens plante. Weniger ermüdend ist ein Besuch des Ortes Mdina. Der von 250 Seelen bewohnte Fleck wird auch die stille Stadt genannt. Zur Winterzeit ist der Spitzname wörtlich zu nehmen. Eine Stille wie durch Schnee gedämpft, bei der man nur das Geräusch der eigenen Schritte in den schmalen Gassen vernimmt. Die im Landesinneren gelegene einstige Hauptstadt des Landes verlor im 16. Jahrhundert an Bedeutung, nachdem es den Johanniter-Orden aus strategischen Gründen an die Küste zog. Mit dem Bevölkerungsschwund blieb zum Glück der ursprüngliche Charakter der Stadt mit seinen sandsteinfarbenen Palästen und Kirchen erhalten.
Dolmen, Drinks und Wunder
Neben all dem Hauen & Stechen entstand auf der Insel ein ethnischer Schmelztiegel. Bei der multikulturellen Schnitzeljagd kann man morgens englisch Frühstücken und anschließend eines Dr. Watson würdig in der National Library of Malta schmökern, um mittags sonnengeblendet die Gassen durchstreifend beim Anblick der vielen karosseriehölzernen Oldtimer Lust auf einen Cuba Libre zu verspüren. Es kreuzt sich britischer Linksverkehr mit italienischer Fahrweise. Geschimpft wird auf Malti, so das es auch Araber verstehen.
Die Hände römisch-katholisch gefaltet zum Gebet, wird zur Festa Season gefeuerwerkt als gelte es alle Heiligen vom Himmel zu holen. Zwischen Sizilien und Nordafrika gelegen, kommt Schmackhaftes auf den Tisch aus beiden Welten. Die für meinen Geschmack etwas zu Kapern lastige, bäuerlich mediterrane Küche, ist geprägt von italienischen, arabischen sowohl englischen Einflüssen. In keinem Reiseführer dürfen natürlich Lampuki (Goldmakrele), ob mit Kapern oder Tomaten, gedünstet oder gebraten sowie die maltesische Fischsuppe Aljotta und die in allen erdenklichen Variationen zubereiteten Karnickel fehlen. Doch sollte man sich keiner Illusion hingeben, zwei Drittel des Fisches wird gefroren aus Italien importiert. Malta ist teuer und als Commonwealth Eiland ein Offshore Finanz- und Steuerparadies. Wie überall ziehen mit dem Geld ruinöse Flagstores und Luxusapartments in alte Gemäuer ein. Doch dieses ist eine andere Geschichte und Insel unspezifisch. Eher sind es Kuriositäten, wie die dem Geldmangel geschuldete Deckenmalerei in der Kathedrale Maria Himmelfahrt auf Gozo, dessen Plafond dem Betrachter eine perspektivisch korrekte Illusion einer inneren Kuppel suggeriert. Malta steckt voller Geschichten und Wunder, wie der durch das Mosta Kirchendach gefallene Blindgänger. Nicht zu vergessen sind die megalithischen Dolmen und Tempel von Tarxien, Hagar Quim, Mnajdra und Hypogäum, deren Zeugnisse einer längst vergessenen Kultur der Jungsteinzeit, erhaben über dem ganzen irdischen Treiben zu stehen scheinen. Die massiven steinernen Bauten wecken unwillkürlich Erinnerungen an haptische Empfindungen aus der Kindheit, als man noch mit Klötzchen spielte. Die frei zu besichtigenden Tempelanlagen sind älter als Stonehenge und machen den Eindruck als könnten sie noch weitere Jahrtausende überdauern.