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Politiker, die auf Eisberge starren

Politiker, die auf Eisberge starren. Vom Gestalter zum Hausmeister. Eine Satire über Dr. Angela Merkel und die neue Rolle von Politikern.

Text: Ilijic / Titelbild by NSA, Public domain via Wikimedia Commons

Frau ohne Eigenschaften

Heute schon die neueste Botschaft von Dr. Angela Merkel vernommen? Eines ihrer täglichen Machtworte und endlos reißenden Geduldsfäden. Wie die Physikerin und Russlandexpertin mütterlich in aller Bescheidenheit über unserem Wohl wacht. Dabei stets unbestechlich über dem niederen Politikbetrieb schwebend, mit Hausfrauen in trauter Runde Plätzchen backt. Kinder, so finster ist keine Nacht! Als Schattenboxen mit einem Judoka lässt sich die Falle beschreiben, in die Merkels Kritiker hineintappen. Was wir vorgesetzt bekommen, – ist nichts anderes als das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Was blieb nur von all dem Spott übrig, der sich einst kübelweise über ihre Frisur und Protestantentracht ergoss? Abgesehen von ihrem unverändert einfältigem Auftreten, erinnert die Laienspieldarbietung unserer Kanzlerin an die Helden im Film „Männer die auf Ziegen starren“ von Grant Haslov. Statt Ziegen starrt die Angela Eisberge an. Zuweilen ist das unterhaltsam, wenn nur nicht die politische Lage wäre. Wie bei der Reise nach Jerusalem wechseln sich Journalisten darin ab ihr Untätigkeit, Zögerlichkeit, Feigheit und andere Attribute an den Kopf zu werfen. Dabei geht es nur vordergründig um Merkel. Wie einflussreich heutzutage Politiker sind, lässt sich daran ermessen, dass diese Trutsche in irgendwelchen Boulevard-Rankings als mächtigste Frau der Welt geführt wird. Damit befindet sie sich in bester Gesellschaft von Paris Hilton.

Wenn es Wirklichkeitssinn gibt, muß es auch Möglichkeitssinn geben.“
Robert Musil

Schleichend verändert sich die Rolle von Politikern von Gestaltern zu Verwaltern. An guten Tagen sind es Verwalter und an Schlechten abgetauchte Hausmeister. Mit jeder weiteren Deregulierung der Finanz- und Weltwirtschaft steuern wir unaufhaltsam in Richtung einer globalen Marktgesellschaft. Wenn jeder Bereich des Lebens handelbar wird, – stellt sich unweigerlich die Frage, weshalb ausgerechnet Politik von diesem Transformationsprozess ausgenommen sein sollte? Mit den TISA- und TTIP-Abkommen verdichten sich die Indizien, dass von Lobbyisten dominierte Institutionen unsere Demokratie systematisch aushöhlen. Jedoch besteht kein Grund zur Panik, weil Spezialisten immer gebraucht werden bei komplexen Aufgaben. Jeder kann das an den kleinen Widrigkeiten des Alltags beobachten. Dem Elektriker können Sie bei der Arbeit auch nur über die Schulter schauen. Ansonsten hilft ihnen ein Anwalt und kein Vater unser. Genau an dieser Schulter stehen unsere Volksvertreter. Komplexität ist das natürliche Biotop von Technokraten. Frei nach Shakespeare hat es die Angie begriffen: Der mir bei meinem Kurs das Ruder lenkt, der richte auch meine Segel. Derweil schulen unsere Innenpolitiker um auf Pressesprecher. Manche, verstehen es sogar auf der Medien-Klaviatur zu spielen. Darin ist „Madame No“ inzwischen eine Virtuosin. Ist Ihnen aufgefallen, wie oft diese Frau vor Herausforderungen steht. Probleme müsste sie anpacken. Und wer braucht schon Neuland, wenn man als Letzter lacht? Fehlende Programmatik ist auch das Letzte was man unserer Regierung vorwerfen kann. Merkels entlarvende Äußerung zur marktkonformen Demokratie fasst es auf den Punkt zusammen. Demokratische Grundsätze sind für die in der DDR sozialisierte Pfarrerstochter allenfalls dehnbare Begriffe. Beispielsweise reichte ihr der Artikel 7 des EU-Vertrages als Vorwand hinter verschlossenen Türen des EU-Rates dafür zu werben, überschuldeten Mitgliedsländern das Stimmrecht zu entziehen. Dazu muss man wissen, dass dieser Artikel den Umgang mit Mitgliedstaaten regelt, welche massiv Menschenrechte verletzen. Das Bild fügt sich nahtlos in den epidemisch um sich greifenden Politikstil der Heimlichkeiten ein, vornehmlich richtungsweisende Entscheidungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit auszuhandeln. Erst wenn unsere Mutti mal selber kochen muss, offenbart sich der blanke Dilettantismus. Dieser Frau brennt selbst Wasser an. Messer, Gabel, Licht sind für Merkel nix oder wie schafft sie es, die mühsam aufgebaute europäische Sicherheits- und Friedensstruktur innerhalb von zwei Legislaturperioden an die Wand zu fahren? Welch vertrauensbildende Kontinuität der deutschen Außenpolitik, bei der Elder Statesmen aus dem Ruhestand aufgeschreckt, ganzseitig in Zeitungen vor dem atomaren Holocaust warnen. Wenn in einem von Illusionen getriebenen Vabanquespiel Putin wie ein Machtpolitiker agiert, reagieren Obama, Merkel und Cameron mit solch pathetischem Gezicke als seien sie in den Wechseljahren. Bevor wir anfangen wild zu spekulieren, lässt sich solch Realitätsresistenz weder mit Russenressentiments noch mit der Westanbindung Deutschlands erklären. Allenfalls damit, dass Betonköpfe den Fall des Eisernen Vorhangs als logische Konsequenz einer victory culture missverstehen.

„Wenn alle Stricke reißen, häng ich mich auf“
Johann Nestroy

Es braucht keine Kassandra, um zu sehen, dass die USA Gefahr laufen in eine paranoide Sicherheitsdiktatur abzugleiten. Die Alu-Hut-Fraktion spürt gar den kalten Hauch von Wirtschaftsfaschismus. Als Engländer können Sie drauf wetten und reich werden. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die gleich hinter jedem Politiker einen Sith-Lord wittern, aber diese ostdeutsche I’m looking for freedom Fangemeinde führt uns noch geradewegs zurück in die Vergangenheit. Welche Assoziationen löst bei Ihnen die Herdprämie aus? Bei mir nur den muffigen Geruch der fünfziger Jahre. Zugegeben,- Detroit und Dresden konnten Besucher nach der Wende leicht verwechseln und mit dem Mindestlohn sowie Hartz 4 Sätzen braucht es keine Mauern um die Untertanen von der Ausreise abzuhalten. Als hätte es die Stasi nie gegeben, scheinen sich die Gaukler unter Obhut der NSA ganz heimisch zu fühlen. Beschwören die gemeinsamen Werte einer Supermacht, die jede Reputation als Fackelträger der Freiheit zu verlieren scheint. Welche Werte sollen es sein, – die von Abu Ghraib, Guantanamo Bay oder Ferguson? Alles keine Widersprüche für den im Sozialismus aufgewachsenen Konservativen. Prinzipien sind für diesen Typus keine Frage von Haltung, sondern eher ein Vorgang der Umetikettierung. In der Zone waren schließlich alle von Geburt an Antifaschisten. Doch dieses sind nur Begleiterscheinungen einer unausweichlichen Revision, welche überforderte Eliten glauben aussitzen zu können. Angesichts von Klimawandel, drohendem ökologischem Kollaps und Verteilungskämpfen halten sie krampfhaft an Durchhalteparolen von Wohlstand durch Wachstum fest. An der lähmenden Aufrechterhaltung des Status quo trägt nicht zuletzt das antiquierte Parteiensystem bei, das parlamentarisch, beim Anblick von verwaisten Sitzreihen, eher den Ikeakatalog als die Bevölkerung repräsentiert. Nicht zu vergessen, den Parteibuch schwenkenden Beifallsklatschern, allerdings wird auch dieses Grüppchen von „Hoch auf dem gelben Wagen“ Romantikern jedes Jahr kleiner. Eingezwängt im Fraktionskorsett sind Abgeordnete weiß Gott gleichgeschalteter als es die Medien je sein könnten. Heutige Parlamentarier, in der Regel Juristen oder Beamte, fürchten den öffentlichen Diskurs wie der Teufel das Weihwasser. Mit dem Resultat, das Bundestagsdebatten so kontrovers geführt werden wie eine Partie Scrabble. Überversorgt verdienen Berufspolitiker weit mehr als der Durchschnittsbürger, jedoch im Vergleich zu dem Salär von Wirtschaftslenkern mit denen sie täglich verkehren, nur einen Bruchteil. Jeder mag sich das allzu Menschliche solch Ungleichgewichts ausmalen. Kein Wunder, wenn Entscheidungen nicht immer zugunsten des Allgemeinwohls ausfallen. Schließlich sind Revolving doors der Karriere förderlicher als jeder Geldkoffer. Zumal das etwas sperrige Accessoire aus der guten alten Zeit, in Justitias Gegenwart einen verfänglichen Eindruck macht. Solange der Wähler wie ein Primitiver glaubt alle paar Jahre per Kreuzchen Einfluss nehmen zu können, wird stets ein Affe erwählt, der am lautesten auf der Brust trommelt. Derartige Blankoschecks und Personenkult sind nicht mehr zeitgemäß. Es wird höchste Zeit den lebendigen Parlamentarismus wiederzubeleben und sich vom Kitsch der realisierten Utopie zu lösen. Berufspolitiker täten gut daran, Forderungen nach mehr Mitsprache, Transparenz und Kontrolle ernst zu nehmen. Bei dem europaweiten politischen Rechtsruck und Radikalismus kann einem sonst Angst und Bange werden. Jedenfalls würde es ihnen das Rückgrat stärken und sie eines Tages davor bewahren an Bäumen zu baumeln. Unser Wirtschaftssystem hat sich so weit verselbstständigt, dass es die kulturellen Werte, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sowie unsere Lebensgrundlage pulverisiert. Wir sollten im Sinne Willy Brandts mehr Demokratie wagen und bloß nicht den Fehler begehen, unregulierte Marktwirtschaft mit Demokratie gleichzusetzen. In der Hoffnung, das der größte Teil von uns, wenn nicht im Berufsleben, doch in der stillen Anonymität der Wahlkabine mit Vernunft gesegnet ist. Ansonsten bleibt als einziges Trostpflaster des Kapitalismus die Gewissheit, dass es zwangsläufig im Sozialismus enden wird. Nicht im utopisch Paradiesischen, was Sie jetzt denken, sondern im grau Realsozialistischen. Der mit langen Warteschlangen, leeren Regalen und Lebensmittelkarten.